Weblications ...
... oder: warum markiert das iPhone eine neue Ära des Computing?
... oder auch: warum bloß hat Apple Safari für Windows portiert?
HTML ist der Kleber des Netzes, wie ein natürliches Fluidum bewegt es seit den Tagen der WWW-Ursuppe Bits und Bytes über diesen Planeten. Eigentlich war es mal als semantische Beschreibungssprache für wissenschaftliche Dokumente gedacht. Doch im Laufe der Zeit wurde HTML mehr und weniger rühmlich zum Gestaltungswerkzeug umgewidmet. Ein Artefakt dieser Entwicklung ist das blink
-Element.
Die fantastischen Möglichkeiten der aktuellen Web-Browser ermöglicht mittlerweile, auf der Basis von HTML so etwas wie Anwendungen zu gestalten. Mit allem drum und dran: Kontextmenüs, Rechtschreibkorrektur, Formatierung etc.
Noch nicht gesehen? Google Docs and Spreadsheet ist eine tatsächlich brauchbare Office Suite Light. Mindmeister eine 1a-Mindmap-Anwendung, Projektmanagement-Software gibt es mittlerweile wie Sand am Meer und Yahoo Pipes ist quasi die Entwicklungsumgebung im Browser.
Die Idee dahinter ist natürlich nicht neu: irgendeine zentral verfügbare große und starke Einheit stellt seine Funktionen für andere - vielleicht kleinere oder dümmere Einheiten über ein Netz bereit. So geschehen in der Mainframe-Ära. So geschehen bei ThinClients. Alles kein Problem. So geschehen auch bei Apples iPhone. Und bei letzerem heulen die Entwickler auf: keine echten Applikationen lassen sich auf dem fingergesteuerten Telefoncomputer installieren. Keine richtigen Binaries, die von richtigen Entwicklern nach richtigen Regel der Anwendungsentwicklung geklöppelt und noch richtig hand-kompiliert werden. Einige fühlen sich in ihrem Berufsethos gekränkt, wenn Anwendungen aus HTML und Javascript bestehen sollen, nur noch im Web laufen und über den eingebauten Browser verwendet werden müssen.
Das iPhone OS X geht dabei einen anderen Weg, als das große Mac OS. Beim großen Bruder gibt es neben den normalen Anwendungen auch das Dashboard, in dem schimmernde HTML-Ajax-Ausgeburten lokal laufen können. Klar: Wettervorhersagen und Börsenticker werden nicht lokal berechnet, sondern geladen. Aber meine Eieruhr, meine Terminvorschau und mein WLAN-Scanner liegen nicht auf dem Server eines unbekannten Datenspanners, sondern in meinem Benutzerprofil.
Und damit sind wir bei einer der spannendsten Fragen dieser Weblications: was tun, wenn kein Netz vorhanden ist. Zum Beispiel beim Zugfahren. Oder beim Fliegen. Oder einfach, weil mobile Datenverbindungen noch nicht ubiquitär erschwinglich sind. Da tauchen neuerdings eine Reihe von guten Ideen auf, als da wären Slingshot, Google Gears und A. I. R. von Adobe. Details zu den einzelnen Projekten bitte dort nachlesen. In kurzen Worten: diese Tools machen Weblications offline verfügbar. Slingshot kümmert sich um Rails-Anwendungen, A.I.R. um Flash-Geschichten, und Google Gears z. B. um den Google Reader. Hier kommt Musik in die Sache: Weblikationen sind nicht mehr darauf beschränkt, dass ich irgendwie im Netz hänge, sondern sie funktionieren auch noch unterwegs. Offline. Wie richtige Applikationen. Nur eben im Browser.
Okay - ein bisschen was zum spekulieren: Warum Apple Safari auf Windows portiert hat (und dann auch noch soooo schlecht), fragt sich die halbe Welt. Rühren wir mal im Kaffeesatz: Wie wäre das: Google nutzt WebKit/Safari - auf dem iPhone, auf Windows und Mac OS - um seine Online-Applikationen Docs, Spreadsheet und Konsorten auch offline anzubieten? Naja, ich geb zu, das klingt nicht besonders plausibel. Vielleicht wollte Apple doch nur einer Wettbewerbsklage in der EU entgehen. Schließlich hätten iPhone-Entwickler sich sonst einen Mac kaufen müssen, um Software zu entwickeln.
Dann schließe ich lieber mal mit etwas Handfestem: mit diesem Working Draft zu HTML 5 vom 28. Juni 2007 von der WHATWG. Es geht um - richtig: Weblications. Web Apps 1.0. Viele Worte zu DOM2, XHTML2, Menüs, Kontextmenüs und weitere GUI-Elemente. Wer hat es geschrieben? Ian Hickson. Der Ian arbeitet bei Google. Wer hat das Copyright auf diesem Draft? Genau: Apple. David Hyatt dürfte dem ein oder anderen doch bekannt vorkommen. Okay, Mozilla und Opera spielen auch mit.
Fazit: Mit HTML5 und dem, was nach Ajax kommt, werden die Anwendungen von Morgen gestrickt. Browser werden zu Betriebssysteme der zukünftigen Computer und Web-Applikationen laufen auch offline. Das iPhone ist der erste Schritt in diese Richtung. Also Schluss mit dem Gemecker.