Warum Tools wie Fahrräder sein sollten

Ich fahre gerne Fahrrad. Beinahe mühelos lassen sich längere Distanzen überwinden – vor allem, wenn der Wind aus der richtigen Richtung weht.
Das Fahrrad stellt für mich eine der genialsten Erfindungen der Menschheit dar: mithilfe eines Fahrrads kann ich mich schneller und leichter fortbewegen. Ich brauche keinen Motor oder weitere Energiequellen.
(Foto: Michael Orth)
Das Fahrrad hilft mir, eine längere Strecke sehr viel schneller zurückzulegen, als zu Fuß. Gleichzeitig absolviere ich die Distanz sehr viel müheloser, gegenüber einem Lauf im Marathon-Tempo.
Das Fahrrad nutzt die Kräfte meines Körpers perfekt für den Vortrieb. Die anatomischen Bewegungen der Beine werden fast vollständig zur Lokomotion verwendet. Es kostet kein Benzin und kein weiteres Geld.
Warum haben wir nicht mehr Tools, die so genial sind wie ein Fahrrad?
“We become what we behold. We shape our tools and then our tools shape us."
— Marshall McLuhan, 1911 - 1980
Nun ist es keine große Hürde, einfach neue, natürlich bessere Werkzeuge fordern.
Aber ich möchte einen Schritt weitergehen: wir brauchen Werkzeuge, die nicht an neuen Stellen unserer Aufmerksamkeit nagen oder eine weitere Batterie eingebaut haben, die geladen werden will.
Ich glaube, dass viel mehr Tools so sein sollten, wie ein Fahrrad.
Tools wie Fahrräder …
- funktionieren vollständig durch mich, den Benutzer, und werden nur von vorhandener Energie angetrieben.
- verbessern den Wirkungsgrad meiner vorhandener Potentiale und verlangen äußerst selten meine Aufmerksamkeit.
- erleichtern genau eine Tätigkeit und helfen mir, mich auf dieses eine Ding zu fokussieren.
- machen Spaß, wenn ich sie benutze.
Natürlich haben sich Werkzeuge immer weiter entwickelt, auch das Fahrrad war nicht von Anfang an perfekt.
Ich erinnere mich beispielsweise daran, dass ein Bekannter Anfang der 90er Jahre ein Autoradio mit CD-Player in seinem Golf hatte (was, am Rande bemerkt, extrem cool war). Jede Bodenwelle, jedes Schlagloch brachte den Player allerdings aus dem Takt – teilweise für mehrere Sekunden. Außerdem musste man ständig mit der Angst leben, dass das teure Gerät aus dem Auto geklaut wird. Heute macht sich kein Mensch mehr darüber Gedanken, dass die Musik weiterläuft, obwohl man gerade über Kopfsteinpflaster fährt. Und noch weniger Menschen wollen einen CD-Player im Auto, solange die Karre Musik via Bluetooth vom Smartphone abspielen kann.
Wenn ich den CD-Player als Werkzeug, als Tool sehe: hat sich die ganze Entwicklungsarbeit für stoßunempfindliche CD-Player dann überhaupt gelohnt? Ist sie nicht vollständig durch digitale Audioformate ersetzt worden?
Vermutlich war es dennoch wichtig, diesen Weg zu gehen, die CD hatte als – vermutlich letzter physischer – Musikträger seine Existenzberechtigung und hat MP3 & Co. erst ermöglicht.
Und daher wäre ein pauschales »Unreif«-Stempeln aktueller Tools und Gadgets latenter Luddismus.
Auf der anderen Seite werden bereits erzielte technologische Errungenschaften zugunsten neuer Spiel- Möglichkeiten scheinbar wieder aufgegeben.
Als Beispiel dafür möchte ich eine Armbanduhr erwähnen, die ich mir vor zehn Jahren angeschafft habe. Ich schätze sie in vielerlei Hinsicht: sie stellt sich dank Funkempfänger selbst ein, läuft seit 10 Jahren (!) per Solarstrom durch und schaltet im Dunkeln per Bewegungssensor die Hintergrundbeleuchtung an, wenn ich den Arm zum Ablesen der Uhrzeit anhebe. Und sie ist sowohl stoß- als auch wasserdicht. Allesamt Funktionen, die SmartWatches aktueller Bauweise im Moment (noch?) fehlen und in meinen Augen gar nicht so smart daher kommen.
Peter-Paul Koch beklagte dieser Tage ein ähnliches Dilemma bei den Tools zum Erstellen von Webseiten, insbesondere bei der Nutzung von fertigen (Javascript-)Bibliotheken. Viele Entwickler, lt. Peter-Paul besonders die serverseitigen Programmierer, stecken einfach alles in ihre Webseiten rein, was geht.
Leidtragend ist der User, der viel überflüssigen Code mit laden muss, wenn er die Webseite aufruft.
Tools don’t solve problems any more, they have become the problem. There’s just too many of them and they all include an incredible amount of features that you don’t use on your site — but that users are still required to download and execute.
(Foto: Tobias Gaulke)
Konvergenz als Grenze
Man kann sicherlich nicht über Fahrräder und Computer schreiben, ohne an dem bekannten Zitat von Steve Jobs vorbeizukommen, dass Computer so etwas wie Fahrräder für das Gehirn wären:
Aus heutiger Sicht stimme ich dieser Aussage nicht zu: die zunehmende Konvergenz eines Computers – insbesondere in seiner derzeit ubiquitären Reinkarnation als Smartphone – hat mit der simplen Eleganz eines Fahrrads nicht mehr viel gemeinsam.
Die Bündelung von MP3-Player, E-Mail/Chat-Programm, Videokamera und Fotoapparat, mobiler Spielekonsole, Nachschlagewerk, Fitness-Computer, whatever hat sich für viele Anwender zu einem Aufmerksamkeitsfresser und Stressor entwickelt.
Um es zu verdeutlichen: Ein Fahrrad brummt nicht im Flur, wenn es gefahren werden möchte oder weckt mich nachts mit wildem Blinken. Ein Fahrrad erzählt mir nicht ungefragt, dass es einen Haufen Updates für seine Teile gäbe, die ich sofort alle anbauen und ausprobieren möchte. Smartphones tun das.
Wo sind die #ToolsLikeBikes?
Nun sehe ich mich also erst auf meinem Schreitisch und dann in meinen Taschen um: MacBook, Kamera, BlackBerry, … viele meiner Alltagswerkzeuge sind leider nicht wie ein Fahrrad, entsprechen nicht den oben genannten Eigenschaften (dafür spricht alleine der Zoo an Ladegeräten und Reserveakkus).
Meine Kuru Toga Bleistifte vielleicht. Und natürlich ein gut geführtes Notizbuch. Aber das war's dann auch schon. Oder? Übersehe ich noch etwas ähnlich genial-cooles, wie ein Fahrrad?
Daher meine Frage an Dich: welches Werkzeug, welches Tool, welches Gadget ist aus deiner Sicht so schlicht und genial, wie ein Fahrrad? Was lässt dich in Ruhe, wenn du es nicht brauchst, ist aber fantastisch, wenn du damit arbeitest?
Schreib mir eine Mail, blogge oder twittere mit dem Hashtag #toolslikebikes — ich freue mich auf dein Feedback! Und natürlich auf Inspirationen für gute Werkzeuge.