31C3 Rückblick

31C3 Rückblick

Es ist Anfang der 90er Jahre, irgendwann im Frühjahr. Ich stehe in einer riesigen Messehalle in Hannover, es ist mein erster Besuch auf einer CeBIT. Zum ersten Mal sehe ich, welche Bedeutung Computer, die ich bisher nur aus dem privaten Umfeld kannte, für Unternehmen bekommen haben, was mit Vernetzung gemacht werden kann.
Ich bewundere Farbdrucker, lasse CD-Brenner-Schubladen auf- und zugleiten und probiere mir bis dato völlig unbekannte Trackballs aus.
Mit einer Art 3D-Brille bewege ich mich (und wahrscheinlich hatte ich den Mund dabei vor Staunen offen) durch eine – für mich damals unglaublich realistische – Innenansicht eines Hauses, gerendert von einem Cray Supercomputer.
Um mich herum diese internationale Atmosphäre, die Geschäftsleute und die langhaarigen Nerds … ich bin wie elektrisiert.
Es ist, als ob ich in die Zukunft sehen kann.[1]

CCC Rakete vor dem CCH

Fotos: Viktor Rosenfeld (CC BY-NC-SA)

Genau an dieses Gefühl, in die Zukunft zu sehen, wurde ich am letzten Wochenende auf dem 31C3 erinnert, dem Chaos Communication Congress. In den letzten Jahren habe ich die Kongresse mehr oder weniger regelmäßig per Livestream oder Video on Demand verfolgt. Und wie bei jedem Kongress gibt es da halt total großartige Talks und – nun ja: weniger großartige. Das ist auch auf den CCC-Kongressen nicht anders.
Vielmehr hat mich das gesamte Drumherum mehr als elektrisiert und inspiriert.

Infrastruktur

Beruflich bin ich unter anderem, zumindest teilweise, damit befasst, Gebäude oder ganze Liegenschaften mit W-LAN oder DECT abzudecken. Meistens für mehrere Dutzend Anwender, was schon aufwändig sein kann. Mit dieser Erfahrung kann ich nur staunen, wie es der CCC schafft, das gesamte Congress Centrum Hamburg mit einer eigenen W-LAN-, DECT- und GSM-Infrastruktur abzudecken. Und zwar einer funktionierenden!
Das mitgebrachte DECT-Handset oder das Handy bekommen (mit einer CCC-SIM-Card für 2,– €) eine eigene Durchwahl, intern lässt sich so jeder andere Teilnehmer anrufen aber auch ein Gateway ins Amt steht kostenfrei für ein- und ausgehende Anrufe zur Verfügung. Das 5GHz-WLAN[2] hat mich und mehrere Tausend anderer Besucher die ganzen Tage über nicht im Stich gelassen – das habe ich noch auf keiner anderen Veranstaltung erlebt.
Ach ja, es gab (wieder) ein nur für den Kongress installiertes Rohrpost-System zur freien Verwendung.

Seidenstrasse

Fotos: Viktor Rosenfeld (CC BY-NC-SA)

Be excellent

»Be excellent to each other« ist sicherlich ein etwas abgedroschener Slogan, aber in der Summe beschreibt es meine Gespräche, Begegnungen, Kontakte auf dem Kongress. Egal, wen ich angequatscht habe oder wie trivial meine Frage möglicherweise war: ich bekam immer freundliche Antworten. Wer mir nicht helfen konnte, reichte mein Anliegen oder mich weiter. In sämtlichen Schlangen (zum Essen, vor der Garderobe oder sonstwo) entstand um mich herum immer ein netter Smalltalk, aus dem ich noch Empfehlungen für Vorträge oder Assemblies mitnehmen konnte.

Als ich an Tag 2 mit meinem Sohn zum Junghackertag war, wurde mir dieser gegenseitig wertschätzende Umgang besonders deutlich: jeder gab sich alle Mühe, Kinderfragen möglichst gut zu erklären. Der Andrang beim Löt- und Bastelangebot für die Junghacker war so groß, dass über Twitter noch weitere Helfer gesucht wurden. Und während wir auf einen freien Platz warteten, meldete sich ein anderer Kongressteilnehmer und bot seine »Löterfahrung« an.

Immer gut besucht war die Lockpicking-Area. Dank guter Einweisung konnte ich am ersten Tag nach kurzer Zeit einige Schlösser öffnen.
An den anderen Tagen hat es mir dann viel Spaß gemacht, meine Erfahrung selbst an andere Neulinge weiter zu geben.

Hack the XY

Obwohl die Mehrheit der Teilnehmer an ihren Rechnern coded, konfiguriert oder probiert, das Spektrum des 31C3 erstreckt sich deutlich darüber hinaus.
Nirgendwo wird das deutlicher, als bei einem Rundgang durch die Assemblies: Hier die Gruppe, die Food-Hacking betreibt, dort der Typ mit einer Art EEG-Stirnband, komplett verkabelt, steuert scheinbar ein Spiel auf seinem Bildschirm mit den Gedanken. Es werden T-Shirts benäht, mit Laser graviert und mit 3D gedruckt. In der einen Ecke dampfen die Lötkolben an Quadrocoptern, in der anderen Ecke mixt sich eine Gruppe in weißen Laborkitteln koffeinhaltiges Brausepulver. Die Coffee-Nerds präsentieren alle Möglichkeiten der Kaffeezubereitung und später am Tag geht der Cocktail-Bot in Betrieb.

Hacken bewegt sich hier nicht zwischen Lötzinn und Bash, es ist ein weitergehendes Forschen und kreatives Probieren. Es ist ein Ideen-Feuerwerk, ein »weil es geht« und »weil es Spaß macht«, und eine kaum beschreibbare Möglichkeit, in die Zukunft zu sehen.

Nachtrag: Musik

Jetzt habe ich glatt vergessen, über das kulturelle Rahmenprogramm zu berichten. Deshalb möchte ich zumindest auf die Band Shétsou hinweisen, die ich an einem der Abende live gesehen habe.
Shétsou kommen aus Hamburg und ich würde mir wünschen, dass man bald mehr von ihnen hört.



  1. IT ist glücklicherweise »Business as usual« geworden, entsprechend sachlich und geschäftlich läuft die CeBIT seit einigen Jahren ab. Aber 3D-Brillen immer noch ein Besuchermagnet. ↩︎

  2. Mit EAP-TTLS & PAP, wunderbar gelöst über einen Pseudo-Radius-Server, der beliebige Username-/Password-Kombinationen akzeptiert hat. ↩︎